Bischof Joachim Reinelt: "Wir haben die Chancen, die Gott uns gibt" 

Kritischer Rückblick 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution 

Bischof Joachim Reinelt

Bischof Joachim Reinelt beim Ökumenischen Forum

Dresden, 05.02.2010 (KPI): Einem kritischen Rückblick auf die Ereignisse der Friedlichen Revolution 1989/90 in Dresden und die Rolle der Kirchen dabei widmete sich das 14. Ökumenische Forum, zu dem die Institute für Evangelische und Katholische Theologie an der TU Dresden für den heutigen 5. Februar eingeladen hatten. Nach einleitenden Vorträgen über "Die Friedliche Revolution in Sachsen" (Dr. Michael Richter) und über "Die Kirchen und die Friedliche Revolution in Dresden" (Prof. Dr. Gerhard Lindemann) beleuchtete ein Podiumsgespräch die Ereignisse vor 20 Jahren. Dazu waren sechs Zeitzeugen geladen, die damals in Dresden in verschiedenen Funktionen Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse hatten: Bischof Joachim Reinelt als katholischer Bischof, Dr. Herbert Wagner als Mitglied der "Gruppe der 20", Frank Richter als derjenige, der sich am 8. Oktober in Dresden für ein Gespräch mit Polizisten und Oberbürgermeister sowie gegen Gewaltanwendung einsetzte, Annemarie Müller als Delegierte der Ökumenischen Versammlung, Pfarrer Andreas Horn als Begleiter der "Gruppe der 20" sowie der damalige Superintendent und Kreuzkirchenpfarrer Dr. Christof Ziemer.

Bischof Joachim Reinelt erinnert sich an verzweifelte junge Menschen am Dresdner Hauptbahnhof am 4. Oktober 1989, die auf die Züge aufspringen wollten, die aus Prag über Dresden in die Bundesrepublik fahren sollten, sowie an die Hilflosigkeit der Bahnpolizei - aber auch an den Mut der Demonstranten, die am 8. Oktober 1989 trotz der Gewaltfreiheit ihrer Kundgebung auf LKWs geladen und nach Bautzen ins Gefängnis transportiert wurden. Und er ist sich sicher: "Die Christen sorgten dafür, dass die Revolution 1989/90 friedlich verlief."

Auch Annemarie Müller, Geschäftsführerin des Ökumenischen Informationszentrums, ist überzeugt, dass die Ökumenische Versammlung den Engagierten viel Mut gegeben habe und dass auch heute "Christen eine Verantwortung haben, sich einzumischen, denn auch die Kirchen sind ein Teil in der säkularisierten Gesellschaft".

Annemarie Mueller und Dr. Herbert Wagner

Annemarie Müller und Dr. Herbert Wagner

Dr. Herbert Wagner, von 1990 bis 2001 Dresdner Oberbürgermeister, sieht rückblickend die Studentengemeinden als "Spielwiesen der Demokratie". Er erinnert sich an die Unsicherheit, wie alles ausgehen würde, denn der Erfolg sei keineswegs vorprogrammiert gewesen. Die Friedliche Revolution ist für ihn eine "Befreiungserfahrung biblischen Ausmaßes - wir haben zwar mitgemacht, aber es gab keinen, der alles koordiniert hat". Es lohne sich, diese Erfahrung weiterzuerzählen. Zugleich fordert er, dass "Kirche präsent sein und einen entspannten Umgang mit der Macht haben" müsse. Schließlich habe jeder Macht und solle sie in guter Weise gebrauchen.

Frank Richter und Pfarrer Andreas Horn

Frank Richter (links) und Pfarrer Andreas Horn

Frank Richter, damals Kaplan an der Hofkirche und heute Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, wies auf die Bedeutung des Katholikentreffens 1987 in Dresden hin: "Das war für die katholische Kirche ein gewaltiger Einschnitt." Er ist überzeugt von der politischen Bedeutung des Gebetes und empfindet das Maß an "Zufällen" in den Oktobertagen 1989, die letztlich zum friedlichen Verlauf dieser Revolution führten, heute noch "beglückend": "Wir sollten mit der Möglichkeit dieses Glückes rechnen", mahnt er.

Dr. Christof Ziemer erinnert an die vom katholischen Pfarrer Wolfgang Luckhaupt, 1982 -  1987 Pfarrer an der Herz-Jesu-Kirche in Dresden-Johannstadt, und ihm initiierte Ökumenische Versammlung der Kirchen in der DDR, die in den Kirchen einen Prozess in Gang setzte, der die Friedliche Revolution maßgeblich beeinflusste. Allerdings beklagt Ziemer einen gewissen Demokratie-Verlust im Einheitsprozess, weil auf die Mitgestaltung des neuen Systems verzichtet und stattdessen die Anpassung an die westliche Ordnung gewählt wurde.

Dr. Michael Richter, Dresden

Dr. Michael Richter
Prof. Dr. Gerhard Lindemann

Prof. Dr. Gerhard Lindemann
Dr. Christof Ziemer

Dr. Christof Ziemer


Fotos und Text: Elisabeth Meuser



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