Das schlimmste Neiße-Hochwasser aller Zeiten

Nach der Jahrtausendflut: Zur Lage im Kloster St. Marienthal

Schwester Elisabeth in der Klosterkirche.

Schwester Elisabeth in der Klosterkirche.

Ostritz, 25.08.10 (KPI): Wer an diesem sonnigen Morgen auf der B 99 von Görlitz zum berühmten Zisterzienserinnenkloster St. Marienthal nach Ostritz an der Neiße fährt, dem präsentiert sich die Oberlausitz von ihrer schönsten Seite. Saftig grün wächst das Gras, ein blauer Himmel mit weißen Schäfchenwolken überspannt das Land. Etwas merkwürdig fällt allenfalls ins Auge, dass die Bahnstrecke, die parallel zur Straße verläuft, an einigen Stellen frei in der Luft schwebt und in Falten gelegt ist. Ein einsames Zeichen darauf, mit welcher Kraft vor nicht einmal drei Wochen hier die Fluten der Neiße gewütet haben.

 

Auch im Kloster wirkt der erste Eindruck friedlich. Hell und freundlich strahlt das Barockensemble den Besuchern entgegen. Der Hof ist in einem sehr ordentlichen Zustand. Nur vereinzelte Arbeiter mit Schubkarren und Rechen, kleine Haufen von Unrat und einzelne Schrottcontainer geben einen winzigen Eindruck davon, welche Aufräumarbeiten hier bis vor wenigen Tagen im Gange waren.


Dr. Schlitt zeigt den Stand des Hochwassers 2010 an.

IBZ-Direktor Michael Schlitt zeigt den Stand des Hochwassers 2010 an.


Der gute Zustand freut Dr. Michael Schlitt, den Direktor des Internationalen Begegnungszentrums St. Marienthal (IBZ), das im Kloster seinen Sitz hat. Seit einer Woche sind wieder Gäste in den Häusern untergebracht, auch wenn nur ein Teil der 200 Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Derzeit tagen ein Ärztekongress und das Institut für Ökologische Raumentwicklung aus Dresden in den Gebäuden. „Wir sind mit den Aufräumarbeiten schon so weit, dass manche Gäste sagen: �Ja, wo war denn das Hochwasser?'" - berichtet der IBZ-Direktor.

Doch das laut Schlitt „schlimmste Hochwasser aller Zeiten" in Marienthal - sogar die Marke der Flut von 1897 wurde noch um 20 Zentimeter übertroffen - hat an nahezu allen Gebäuden der weitläufigen Klosteranlage tiefgreifende, zum Teil unsichtbare Schäden hinterlassen. Zwei Meter hoch stand die schlammige Brühe in der Kirche und im Klosterhof. Es wird damit gerechnet, dass Putz und Böden im Erdgeschoss aller Häuser massiv geschädigt sind. Diese Spuren werden erst in den kommenden Wochen im ganzen Ausmaß sichtbar werden. Und Kloster und IBZ vor große Herausforderungen stellen. Denn dem 776 Jahre alten Barockensemble in dieser Lage zur Neiße hatte keine Versicherungsgesellschaft eine Absicherung gegen Hochwasserschäden gewährt.


 Das Kloster, drei Wochen nach dem Hochwasser.

Der Klosterhof, drei Wochen nach dem Hochwasser.


Schwester Elisabeth Vaterodt ist die Priorin des Klosters St. Marienthal, dem zurzeit 14 Schwestern und eine Kandidatin angehören. 25 Jahre ist die jüngste Ordensfrau, 87 die älteste. Schwester Elisabeth hält in der Verwaltung des Klosters die Zügel fest im Griff. Genau hat sie aufgeschlüsselt, mit welchen Schadenssummen die Abtei an der Neiße leben muss. Eine endlose Zahlenkolonne. Beschädigt sind allein in der Abtei Kapitelsaal, Kreuzgang, Refektorium, Klosterküche, Buchbinderei, Waschküche, Bäckerei, zwei Aufzüge: Kostenpunkt etwa 250.000 Euro. Einrichtung des Klosterladens zerstört: 18.000 Euro, 22.000 Euro an Waren vernichtet. Glück im Unglück: Eine gebrauchte Ersatzeinrichtung spendierte ein anderer Konvent. Die Turbinen der Wasserkraftanlage des Klosters vom Schlamm verstopft: 100.000 Euro Schaden. Haustechnik und Heizung: 900.000 Euro. Dazu Einnahmeausfälle: Das Kräuterfest musste ausfallen, die Bäckerei, die Waschküche, die Klosterschenke und der -markt konnten keinen Umsatz erwirtschaften: 80.000 Euro Verlust. Der Betreiber der Kräutermanufaktur im Kloster hat gekündigt, die Produktion wird eingestellt bleiben. Der Mieter des überfluteten Essigkellers trägt sich ebenfalls mit dem Gedanken, zu kündigen. Zahlen, die sich in den kommenden drei Jahren auf sieben Millionen Euro addieren werden. Dazu kommen die Schäden am Internationalen Begegnungszentrum, das im Kloster seinen Sitz hat. Hier summiert sich die Zerstörung an Gebäuden und Infrastruktur vom PC bis zur Telefonanlage auf 2,9 Millionen Euro, plus 600.000 Euro Einnahmeausfall an abgesagten Tagungen und Übernachtungen.

 

Beim Blick in die Zukunft ist Schwester Elisabeth dennoch optimistisch. „Wir glauben fest daran, dass das Kloster wieder in alter Schönheit ersteht", sagt sie. Sorgen, dass das Wasser alle Mühen irgendwann wieder umsonst machen könnte, will sie sachkundig prüfen. „Wir hatten eigentlich einen sehr guten Hochwasserschutz", sagt sie. Nach den ersten Warnungen hatten Mitarbeiter aus St. Marienthal die mobilen Flutschutzwände am Abend des 7. August bei Starkregen aufgerichtet. Die Landestalsperrenverwaltung hat durchblicken lassen, dass diese Dämme für die Fluten jedes „normalen" Hochwassers auch ausgereicht hätten. Doch dieses Mal hatte nicht allein die Natur zur Gefährlichkeit der Situation beigetragen. In Polen war die Staumauer des Witka-Stausees gebrochen. Und die Flutwelle, die nun heranrollte, überspülte die Flutwände, die wohl auf eine Jahrhundertflut, aber nicht auf eine Jahrtausendflut ausgelegt waren. „Immerhin haben die Wände aber doch Schutt und Geröll, den die Neiße mitspülte, vom Kloster ferngehalten", versucht Schwester Elisabeth die positiven Seiten zu sehen. Wenn nach menschlichem Ermessen nötig - eine Staumauer bricht immerhin selten zweimal - würde auch eine weitere Erhöhung der Schutzwälle geprüft.


Priorin Schwester M. Elisabeth Vaterodt.

Priorin Schwester M. Elisabeth Vaterodt. 


Hautnah hatten Schwester Elisabeth und ihre Mitschwestern die Katastrophe miterlebt. Einer Evakuierung hatten sich die Ordensfrauen verweigert: Schließlich hatten die Nonnen auch 1897 und im Zweiten Weltkrieg hinter den dicken Mauern der Abtei ausgeharrt. Um 23 Uhr verschickte Schwester Elisabeth ihre letzte E-Mail. Den Zisterzienserinnen der benachbarten Abtei im sorbischen Panschwitz-Kuckau schrieb sie: Betet für uns. Wir stehen unter Wasser. Ab 23.30 Uhr gab es dann keinen Strom mehr. Das Telefon funktionierte nicht mehr. Das einzige Handy wurde am nächsten Tag - als der Klosterhof komplett unter Wasser stand - mit Betttüchern zu einem Helfer des IBZ abgeseilt, der im Kajak in den Klosterhof gefahren kam. Das Mobiltelefon musste erst geladen werden. „Wir werden aus dieser Erfahrung unsere Schlüsse ziehen", berichtet die Marienthaler Priorin. So sollen Notstromaggregate für das Kloster angeschafft werden, selbst über den Kauf einiger Boote denken die Nonnen ernsthaft nach.

 

So überraschend, wie das Wasser gekommen war, verschwand es innerhalb von 24 Stunden. Und hinterließ ein schlammverschmiertes Chaos. Vieles dabei erinnerte an die bisher schlimmste Flut im Jahr 1897. Damals hatte der Propst in letzter Minute das Allerheiligste aus dem Tabernakel der Klosterkirche gerettet. Auf dem Rückweg aus dem Gotteshaus musste er bereits durch Wasser waten. Dieses Mal war es die Äbtissin, der genau das Gleiche wiederfuhr. Und war es vor gut hundert Jahren eine Holzstatue des heiligen Nepomuk, die von den Fluten aus der Klosterkirche entführt wurde, so trug das Wasser diesmal eine Marienstatue davon.


 Schwester Elisabeth bespricht mit Restauratoren die Arbeiten.

Schwester Elisabeth bespricht mit Restaurator Udo Frenschkowski den Fortschritt der Arbeiten.


Doch mit der Not kam auch Hilfe. „Das sind die Wunder, die vom Himmel geschickt werden, und die wir dankbar annehmen", sagt Schwester Elisabeth. Bundespolizisten rückten mit schwerem Gerät an, um die Rettung des nationalen Kulturschatzes zu unterstützen. Dazu kamen freiwillige Helfer aus Pfarreien, Schulen, befreundeten Bildungseinrichtungen. „Auch die Schwestern aus St. Marienstern waren sofort zur Stelle und haben sich vor keiner Dreckarbeit gescheut", berichtet Schwester Elisabeth. Restauratoren und Denkmalschützer waren binnen kürzester Zeit vor Ort und halfen zu einem guten Teil ehrenamtlich, die wertvollen Kulturschätze des Klosters fachgerecht zu säubern und zu sichern. In der Bibliothek wurde mit Alkohollösung gegen Schimmel vorgegangen, den die hohe Luftfeuchtigkeit auf den Schriften der Abtei zu bilden drohte. Die Holzverkleidung der Klosterkirche wurde behutsam getrocknet. Die historischen Reliquien der Seitenaltäre wurden gesichert. Immerhin stammen die religiösen Schätze aus der Frühzeit des Christentums. Im 18. Jahrhundert hatte sie ein Kardinal, der Bruder der damaligen Äbtissin, aus den Katakomben in Rom mitgebracht. In Textilien gefasst, auf wattierten Auflagen und mit Urkunden versehen lagerten die Knochen in den Altären. Nun macht sich der Vorteil der großen Klosteranlage bezahlt: „Wir haben Platz zum Arbeiten und auch zum Trocknen."

 

30.000 Euro gingen im Kloster in den ersten 14 Tagen an Spenden ein. 50.000 Euro stellte das Bistum Dresden-Meißen als Soforthilfe zur Verfügung. 5.000 Euro gab das Bistum Würzburg aus seinem Katastrophenfonds. „Wir sind dafür sehr dankbar und hoffen auch weiterhin auf Hilfe", sagt die Priorin des Klosters, „ob nun finanziell oder durch das Gebet oder anderweitige Unterstützung." So hätten Firmen kostenlos Technik zur Verfügung gestellt. „Da können sie echt was Gutes tun", sagt Schwester Elisabeth, und schmunzelt, dass die Formulierung „da muss noch gekärchert werden" im Kloster zum geflügelten Wort geworden sei.

 

Die Schwestern überstanden die Flut körperlich unversehrt. Ihre Gebetszeiten und Gottesdienste halten sie nun im Oratorium der Abtei. „Der Ausnahmezustand ist nun vorbei", sagt sie. So sind die Schwestern zu ihrem geregelten Tagesrhythmus zurückgekehrt, wenn auch das erste Gebet derzeit morgens „erst" um 5 Uhr angesetzt ist. In den ersten 14 Tagen hatten sie aus Rom offiziell eine Dispens von den Gebetszeiten erhalten. „Die älteren Schwestern haben den ganzen Tag gebetet, die anderen den ganzen Tag gearbeitet", berichtet die Priorin. „Es wäre auch sehr schwer gewesen, sich zum Gebet zu sammeln, während gleichzeitig draußen hektisch gearbeitet wird", sagt sie.


Schaufeln.
 

Schaufeln und Besen haben fürs Erste ausgedient.

Ihren ersten offiziellen Gottesdienst feierten die Schwestern gemeinsam mit allen Helfern am Mittwoch nach der Flut unter freiem Himmel. Für alle Beteiligten sei dies „ein sehr ergreifender Moment" gewesen, erzählt Schwester Elisabeth. Immer wieder hätten sich die Schwestern die Frage gestellt: „Was will uns der liebe Gott mit dieser Flut sagen?" Ihre Antworten darauf: Die Wassermassen hatten alle Grenzpfähle an der deutsch-polnischen Trennlinie hinweggefegt. Ein Zeichen? Außerdem stünden die Schwestern nun in einer Reihe mit all ihren Vorgängerinnen, die ebenfalls schwere Tage erdulden mussten, angefangen von den Flutopfern 1897 bis zu den Ordensfrauen während der Weltkriege. Und: als Sühne für ein Unrecht war das Kloster im Jahr 1234 gestiftet worden. „Im Geist der Sühnestiftung werden wir das ertragen", sagt die Schwester. „Wir haben aber den Vorteil, dass wir heute Hilfe erhalten. Und für uns ist die Tatsache, dass wir diese Katastrophe überstanden haben auch ein Zeichen, dass das Kloster erhalten bleiben soll."

 

Völlig unbeeindruckt von den Turbulenzen der letzten Tage scheinen allerdings nur zwei geblieben zu sein: Die Störche in ihrem Horst in sicherer Lage hoch oben auf dem Klosterdach betrachten das Geschehen am Boden nach wie vor neugierig, aber gelassen.

Text und Fotos: Michael Baudisch

 

Gemeinsames Spendenkonto des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken und des Bistums Dresden-Meißen:

Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken
Bank für Kirche und Caritas Paderborn
BLZ      472 603 07
Konto   10 000 110
Stichwort „Kloster St. Marienthal"



Zur Online-Spende hier klicken...



Arbeiter

Arbeiter reinigen den Klosterhof.


Kirchenbänke

Behutsam müssen die Kirchenbänke getrocknet werden.


Beschädigter Raum

Lüfter arbeiten in den beschädigten Räumen.


Papst Johannes Paul II.

Im Klosterhof: Eine Statue Papst Johannes Pauls II. grüßt segnend hinter einem Bagger hervor.


Arbeiterinnen

Frauen rechen auf dem Klosterhof.


Aus Marienstern

Fröhlich hilft Gabi Fiedler für das Kloster St. Marienstern den Zisterzienserinnen in Marienthal.


In der Klosterkirche

In der Klosterkirche begutachten Restauratoren die Schäden.


Sakristeischränke

Sakristeischränke lagern im Gang.



Zurück Impressum