Frieden wagen!
Weihnachtsbotschaft von Bischof Heinrich Timmerevers
Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist eine Provokation: Hoch oben über der Weihnachtskrippe in der Dresdner Kathedrale – aber vielleicht auch bei Ihnen zu Hause – halten die Engel ein Spruchband: „Ehre sei Gott in der Höhe“ – und mit dem Evangelist Lukas ist zu ergänzen: „und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“
Damit sind sie eine Provokation. Denn wo ist der Friede?
Schauen Sie auf andere Seiten im Internet. Egal ob Nachrichtenbeiträge oder Kommentarspalten: für Unfriede und Zwietracht lassen sich fast keine treffenderen Beispiele finden.
Unsere Gesellschaft wirkt in der Gegenwart auf viele zerbrechlich. Wie groß ist die Sehnsucht nach einem friedlichen Zusammenleben! Wie sehr tut Frieden not, der Freiheit ermöglicht und sichert! Wie sehr braucht es dafür nicht nur politische Abkommen und Verträge, sondern auch den unbedingten Willen des Einzelnen zum Frieden!
Weihnachten ist für viele das Fest des Friedens schlechthin. Man hat mal etwas mehr Zeit für die Familie, man sitzt vielleicht sogar mit denen am Tisch, die man das ganze Jahr meidet. Der Geldbeutel sitzt in diesen Tagen lockerer, egal ob bei den Geschenken oder beim Spenden für Menschen in Krisensituationen.
Die Sehnsucht ist da, die Spannungen und Konflikte zumindest für ein paar Stunden und Tage hinter sich zu lassen. Aber ist das schon Frieden?
Was ist mit der biblischen Verheißung vom Frieden, der vom Engel verkündet wird und der mit einem Säugling in einer Futterkrippe beginnen soll? Wo bleibt die Erlösung von all den Ungerechtigkeiten, von all dem friedlosen Streit, von all den erfahrenen Verwundungen unseres Lebens?
Vielleicht hilft es uns, zwischen Endgültigkeit und Vollendung zu differenzieren. Die Zusage Gottes vom Frieden gilt, er erfüllt sie! Aber „Erfüllen“ meint eben nicht am Ende zu sein, sondern mittendrin. Versprechen verlieren nicht ihre Gültigkeit, nur weil das Einlösen andauert.
Zu Weihnachten feiern wir, dass Gott dieses Versprechen realisiert. Er tut es nicht mit der Macht, Gewalt und Unmittelbarkeit eines göttlichen Autokraten – er könnte es! Nein, er fängt an, indem er ein kleines, der Liebe und Zuwendung von Menschen bedürftiges Kind wird. Darin wird für mich deutlich: Er möchte in dieser Bedürftigkeit alle Menschen gewinnen, mitzutun. Seine Botschaft, sein ganzes Leben, sein Sterben am Kreuz sind eine Einladung, nicht bei sich und den eigenen Interessen stehenzubleiben, sondern auf den Nächsten und den Ausgegrenzten zuzugehen und Frieden zu stiften. Gottes Versprechen von Frieden und Erlösung wird er nicht an uns vorbei realisieren, sondern nur mit uns.
Liebe Leserinnen und Leser, gemeinsam mit den Pfarrern, den Seelsorgerinnen und Seelsorgern in den Gemeinden an den unterschiedlichsten Orten im Bistum wünsche ich Ihnen, Ihren Familien und allen Ihnen nahestehenden Menschen, dass die Botschaft des Engels vom Frieden auf Erden Sie provoziert. Wagen Sie es, Menschen des Friedens zu werden!
Ihr
+ Heinrich Timmerevers
Bischof von Dresden-Meißen