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Bistum Dresden Meissen
In dieser Woche tagen die Deutschen Bischöfe auf ihrer Frühjahrs-Vollversammlung in Dresden - hier ein Foto aus dem Eröffnungsgottesdienst. © Andreas Gäbler
02. März 2023

Zuversicht, die aus dem Glauben erwächst, nicht von Besorgnis überwuchern lassen

Predigt von Erzbischof Burger (Freiburg) zur Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz

am 2. März 2023 in Dresden

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wer sich landauf, landab über das Ansehen der Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung erkundigt, wer sich dafür interessiert, wie auch innerhalb unserer Kirche deren Zustand beurteilt wird, erhält in der Regel derzeit negative
Rückmeldungen, unabhängig von einer Zuordnung in irgendwelche Lager oder theologische Richtungen. Manch einem mag da nur noch das Gebet bzw. der Hilferuf einer Königin Ester bleiben – wir hörten ihn in der Lesung. „Denk an uns Herr! Offenbare dich in der Zeit unserer Not und gib mir Mut“ (Est 4,17r).

Wir alle wissen um die Gründe und die Zusammenhänge, die zu dieser negativen Wahrnehmung geführt haben. Unsere Lösungsansätze werden in der breiten Öffentlichkeit zu wenig bis gar nicht wahrgenommen. Unsere Arbeit in
Intervention und Prävention, in Aufarbeitung und Anerkennung des Leids stoßen nicht überall auf die Resonanz, die wir doch für uns erwarten würden. Irgendwie haben wir als Kirche und als Verantwortungsträger in dieser Kirche
ein grundlegendes Problem der Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt wissen wir um die Schwierigkeiten in der Glaubensvermittlung und Glaubensweitergabe und das schon über viele Jahrzehnte hinweg.

Viele beklagen diesen Zustand von Kirche, und wenn ich dies so manchen Äußerungen recht entnehme, wollen viele, die mit Kirche noch etwas am Hut haben, diesen Zustand auch verbessern. Die einen hoffen auf Reformen, wie sie im Synodalen Weg benannt sind. Andere wissen sich den römischen Maßgaben verpflichtet, die keine Spielräume erkennen lassen. Wir beklagen den Bedeutungsverlust von Kirche, das schwindende Ansehen, eine mangelnde Attraktivität der Institution aufgrund ihres Fehlverhaltens und ihrer Strukturen usw. Die Ärgernisse und der Frust scheinen alle positiven Aspekte kirchlicher Arbeit komplett zu überdecken. Bei aller Sorge um die Kirche wird mitunter der Blick auch etwas wehmütig in die Vergangenheit gerichtet. Wie gerne wollte man wieder an
volkskirchliche Erwartungen und Strukturen anknüpfen, an eine Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in der die Kirche doch dafürgestanden habe, weltoffen und weltzugewandt den Weg in die Zukunft gehen zu wollen. Denken wir auch an die Würzburger Synode in den 70-er Jahren.

War die Kirche nicht eine wichtige Heimat und Anlaufstelle für unzählige Menschen in Freud und Leid? Ich gebe zu, der verklärte Blick in die Vergangenheit scheint zu verlockend, angesichts dessen, dass wir unser Kreuz und Leid noch größer machen durch die Traurigkeit, die viele umschleicht, und die das Kirchenlied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ in der zweiten Strophe beschreibt. Können und dürfen wir aber mit diesem manchmal mehr verklärten
Blick rückwärts wirklich in die Zukunft schauen, die uns so düster und so trostlos erscheint, weil, um es kurz auf den Nenner zu bringen, unsere bisher bekannten Vorstellungen und Gestalt von Kirche mit ihrem öffentlichen Einfluss dahinschwinden und eine gesellschaftliche Prägekraft von Kirche verlorengeht? Hier ertappe ich mich selbst, an einer Vorstellung von Kirche zu hängen, die dem Wesen von Kirche letztendlich nicht gerecht wird, ja sogar zuwiderläuft. Denn die Kirche hat sicherlich nicht irgendeinem Machterhalt zu dienen, nicht dem gesellschaftlichen Einfluss und Prestige. Sie hat auch nicht der Durchsetzung unterschiedlicher Vorstellungen zu dienen, sondern bleibt einzig und allein dem Evangelium verpflichtet und damit Jesus Christus. Vom Weg der Nachfolge war da die Rede, nicht von einem Triumphzug.

Und deshalb stellen sich mir auch immer wieder grundsätzliche Fragen. Bin ich bereit, auch dann zu dieser Kirche zu stehen, wenn sie alles an Macht und Einfluss eingebüßt haben mag? Stehe ich dann auch noch in Treu und Glauben, wenn eine Gesellschaft und ein Umfeld nicht mehr bereit sind, dem Credo der Kirche mit Respekt zu begegnen? Wie würde sich mein Verhältnis zu dieser Kirche verändern, hätte ich den finanziellen Komfort und die Absicherung nicht mehr, den mir die Kirche derzeit immer noch bietet und gewährleistet? Wie fragte neulich
ein Kind einer sechsten Klasse des Gymnasiums: Gehen Sie als Bischof auch privat in die Kirche? Als ob sich mein Glaube und mein Verhältnis zur Kirche nur am Dienstlichen festmachen ließe? Oder ganz anders gefragt: Was muss mir alles genommen werden, dass wirklich wieder allein die Botschaft Jesu mein Denken und Handeln bestimmt, ohne gesellschaftspolitisches Taktieren, ohne Schielen nach Anerkennung und Einfluss?

Dass diese Fragen nach einem Ideal von Kirche und einem gelebten Christsein sich im utopischen Bereich bewegen, ist für mich ebenso klar, denn wir leben nun mal als Kirche, als Gemeinschaft von Glaubenden, in einer Wirklichkeit, die uns zum Agieren zwingt. Wir haben uns als Kirche zu ganz konkreten gesellschaftlichen Fragen, zu politischen Umständen und zu den Fehlern unserer Vergangenheit zu verhalten, um der Botschaft, um der Menschen willen.
Aber die gestellten Fragen helfen mir, doch immer wieder den Blick für das Wesentliche, für den Wesentlichen, für Christus freizubekommen. Und hier sind wir ganz nah dran an dem, was uns das heutige Evangelium mit auf den Weg gibt. Als letzter Satz der Perikope steht die „Goldene Regel“: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“ (vgl. Mt 7,12) Dem geht voraus, dass wir, ähnlich einer Königin Ester, auch unser ganzes Vertrauen in Gott setzen. Ja, Christus fordert uns dazu geradezu auf, sich bei Gott in Erinnerung zu bringen, inständig und mit Nachdruck ihm in den Ohren zu liegen und das verbunden mit der Zusicherung, nicht nur gehört, sondern auch erhört zu werden.

Habe ich es verlernt, im Spiel der unterschiedlichen Kräfte, der Erwartungen und Enttäuschungen und bei allen Auseinandersetzungen damit ernst zu machen? Was traue ich Christus wirklich noch zu? Vor wenigen Wochen wurde ich auf ein Zitat des kolumbianischen Philosophen Nicolas Gomez Davila, gestorben 1994, aufmerksam gemacht, der kurz und knapp einmal formulierte: „Der Katholik, den das Los der Kirche mit Besorgnis erfüllt, hat aufgehört Katholik zu sein.“ Nochmals: „Der Katholik, den das Los der Kirche mit Besorgnis erfüllt, hat aufgehört Katholik zu sein.“ Dieses Wort fasst für mich zusammen, um was es im Eigentlichen gehen sollte. Vielleicht braucht es doch wieder etwas mehr die Theologie auf den Knien, ein noch größeres Vertrauen in Christus, dass er seine Kirche in die Zukunft führt. Und wir, wir wirken daran mit, mit allen Defiziten und Talenten. Immer hat es dabei um die Verwirklichung seines Willens zu gehen und nicht um meine Vorstellungen.

Lieber Schwestern, liebe Brüder, lassen wir bei all unserem Tun und Handeln die Besorgnis nie so groß werden, dass sie die Zuversicht, die uns aus dem Glauben erwächst, überwuchert, denn dann träfe der Satz zu: „Der Katholik, den das Los der Kirche mit Besorgnis erfüllt, hat aufgehört Katholik zu sein.“

Halten wir an der Aussage Jesu fest: „ … wieviel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn darum bitten (vgl. Mt 7,11). Oder wir dürfen uns auch an die letzte Strophe des vorher genannten Liedes erinnern: „Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“


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