Selbstbestimmung und Lebensschutz zusammendenken
Interdisziplinäres Podiumsgespräch der Katholischen Akademie zur Debatte um §218 StGB
Dresden. Am Abend des 2. Oktober 2024 hat die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen im Haus der Kathedrale zu einem Podiumsgespräch mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und der Beratungspraxis über Grenzen und Möglichkeiten der Novellierung des § 218 im Strafgesetzbuch eingeladen. Akademiedirektorin Dr. Ulrike Irrgang begrüßte die Podiumsgäste und das Publikum und verwies in ihren Einführungsworten auf die sich verhärtenden Perspektiven von „pro-choice“ oder „pro-life“, die eine differenzierte Diskussion zunehmend erschweren.
In der Eröffnungsrede der Augsburger Moraltheologin Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl kam die Schwierigkeit der Fragestellung, wie Lebensschutz und Selbstbestimmung zusammengedacht werden können, ebenfalls zum Tragen. Prof. Dr. Schlögl-Flierl, aktuell Mitglied des Deutschen Ethikrats, plädierte dafür, dass die Diskussion „versachlicht statt emotionalisiert“ werden sollte. Hilfreich seien in diesem Zusammenhang ein klares Konzept von dem, was wir unter Selbstbestimmung und Lebensschutz verstehen, und zugleich Klarheit darüber, mit welchem Attribut wir diese versehen wollen. Schlögl-Flierl riet zu einem „seriösen Lebensschutz“, der nicht gegen die Mutter, sondern nur mit ihr gedacht werden kann, und „relationaler Selbstbestimmung“, die den Menschen in seinem persönlichen Beziehungsgeflecht begreift. Hierzu sei eine „Ethik der Vulnerabiliät“ erforderlich, die bei einem Schwangerschaftskonflikt alle Akteurinnen und Akteure in den Blick nimmt und das gemeinsame, einende menschliche Band der Verletzlichkeit hervorhebt.
Bedeutung der Beratungspraxis
Im Anschluss führte Moderatorin Martina de Maizière durch den weiteren Abend und die interdisziplinäre Podiumsdiskussion. Als erster Diskutant kam der Leipziger Jurist Prof. Dr. Martin Schulte zu Wort, der eine Einführung in die juristischen Hintergründe und eine Einordnung des Paragraphen 218 in die Systematik des Strafgesetzbuches vornahm. Er verstehe das Argument der Entkriminalisierung, verwies aber zugleich darauf, dass -aus rechtswissenschaftlicher Perspektive- eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs u.a. die Formulierung eines eigenständigen Gesetzes erfordere, das wiederum mit Strafen versehen werden müsste, was letztlich keine tatsächliche Verbesserung in diesem genannten Sinn bringen würde.
Maria Zucht, Beraterin für Schwangere und Familien beim Caritasverband für das Bistum Erfurt e.V., unterstrich die Bedeutung der Beratungspraxis für Schwangere, die häufig „in einem Tunnel“ seien und keinen klaren Weg für sich erkennen könnten. Aufgabe der Beratung sei es deshalb, „Frauen aus dem Tunnel herauszuholen, sie an die Kreuzung zu führen und ihnen aufzuzeigen, welche Wege es geben kann“, so Zucht.
Soziale Rahmenbedingungen verbessern
Schlögl-Flierl ergänzte, dass die Diskussion allein um den Paragraphen 218 und die Fragen „Wann beginnt menschliches Leben? Wie denken wir Selbstbestimmung und Lebensschutz?“ noch zu kurz greife, da die Debatte auch „sozialethisch aufgebrochen“ werden müsse. Für Schlögl-Flierl hieße das, auch die gesellschaftspolitische Dimension mit in den Blick zu nehmen und handelnde Akteurinnen und Akteure zu einer Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen auch in Bezug zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufzufordern.
In der knapp zweistündigen Diskussion wurde den vielschichtigen Aspekten der Thematik ausführlich Rechnung getragen. Der anschließende Austausch mit dem Publikum zeigte einmal mehr das große Interesse am Thema und die vielen zu bedenkenden Faktoren, die umso mehr dazu anhalten, sich der Frage, wie Selbstbestimmung, Lebensschutz und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zusammengehen können, differenziert und umfassend zu stellen.
Hinweis:
Bereits am 26. September 2024 hat die im schweizerischen Fribourg lehrende Sozialethikerin Dr. Elisabeth Zschiedrich im Akademie-Podcast „Mit Herz und Haltung“ einen Blick auf die Rechtslage und den Diskussionsstand zum Thema Abtreibung in den deutschen Nachbarländern Frankreich, Polen und der Schweiz geworfen. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen sowie unter www.lebendig-akademisch.de/podcast abrufbar.