Die Ungesehenen sehen
Chemnitz feiert seine Mutter-Teresa-Schwestern, die seit 40 Jahren auf dem Sonnenberg wirken
Chemnitz. Still sitzen die vier Ordensfrauen in der Kirchenbank der St. Josephskirche auf dem Sonnenberg. Auf den Tag genau vierzig Jahre ist es her, dass am 18. Dezember 1983 die Niederlassung der Mutter-Teresa-Schwestern im damaligen Karl-Marx-Stadt gegründet wurde. An diesem Abend könnten sie stolz auf ihr Wirken seither zurückblicken. Doch was die vier Ordensschwestern – gekleidet in die traditionellen indischen Saris der Gemeinschaft, darüber dicke, dunkle Winterjacken – ausstrahlen, ist vor allem: Ruhe, Bescheidenheit und Gelassenheit.
In einem Festgottesdienst mit dem Bischof feiern Chemnitzerinnen und Chemnitzer – darunter Oberbürgermeister Sven Schulze – das Wirken der Schwestern. Ein Dutzend Priester nehmen an der Messe teil, auch Pfarrer Bernhard Gaar. Als junger Kaplan in Karl-Marx-Stadt und auch später als Bischofssekretär hatte er sich dafür stark gemacht, dass die einzige Niederlassung des Mutter-Teresa-Ordens in Sachsen Realität wurde.
„Sie kennen nicht die staatlichen Stellen“
Doch zunächst hatte sein Chef, der damalige Bischof Gerhard Schaffran, noch abgewunken. „Das wird nichts. Sie kennen nicht die staatlichen Stellen“, so erinnert sich Pfarrer Gaar, der heute in Regensburg lebt. Doch Gaar ließ nicht locker. Bei einem Ad-Limina-Aufenthalt in Rom überredete er Bischof Schaffran zu einem gemeinsamen Besuch bei Mutter Teresa, die zufällig zur gleichen Zeit in der Stadt weilte.
Sie ließ sich in einem Atlas die Stadt zeigen, für die die beiden Seelsorger aus der DDR um die Einrichtung einer Ordensniederlassung baten. Pfarrer Gaar erinnert sich schmunzelnd: „Als Sie den Namen Karl-Marx-Stadt hörte, meinte sie: ‚Karl Marx? Das machen wir.‘“ Danach mussten der Bischof und sein Sekretär lediglich noch ein zweiseitiges DinA5-Blatt als Protokoll ausfüllen. Das genügte als Vertrag für die Mutter Teresa, nach Berlin eine zweite Ordensniederlassung in der DDR zu gründen – diesmal in Karl-Marx-Stadt.
Im Gottesdienst in Chemnitz gestalten an diesem Abend ein Chor, eine Sängerin und Instrumentalisten die Feier musikalisch. Ein Kameramann filmt das Ereignis. „Die Schwestern hatten für diesen Abend keinen Wunsch, außer Beten und Dank sagen“, erläutert Propst Benno Schäffel zum Beginn der Messfeier. Immerhin einen Wunsch gestatteten sie sich schließlich doch: eine Kerze. Die strahlt nun im Altarraum, entzündet mit dem Friedenslicht aus Betlehem. Jugendliche der Gemeinde haben das Geschenk in den Blau- und Weißtönen der Ordenskleider der Mutter-Teresa-Schwestern gestaltet.
150 warme Mahlzeiten für Bedürftige pro Tag
Es sei gleich mehrfach „ein Wunder“, so Bischof Heinrich Timmerevers in seiner Predigt, dass die Arbeit der Schwestern in Chemnitz bis heute tagtäglich möglich sei. Er erinnert an die Bereitschaft Mutter Teresas, sich Gott und den Armen zuzuwenden. An die Gründung der Niederlassung unter den schwierigen Rahmenbedingungen der DDR. An die enorme Leistung der kleinen, bescheidenen Schwesterngemeinschaft auf dem Chemnitzer Sonnenberg, tagtäglich 150 Menschen mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen, sonntags mitunter die doppelte Anzahl. „Sie fragen nicht: Was habe ich davon. Sie wirken nicht auf der großen Bühne“, so beschreibt der Bischof das Wirken der Ordensfrauen.
Als Schwester Kristin, die Oberin der kleinen Schwesterngemeinschaft, an den Ambo geht, um eine Fürbitte vorzutragen, spüren die Gottesdienstbesucher, was damit gemeint ist. Die leisen Schritte der Schwester sind kaum zu vernehmen. Unscheinbar geht sie die wenigen Meter. „I thirst“ – Mich dürstet. In jeder Kapelle ihrer Gemeinschaft ließ die Ordensgründerin diese Jesus-Worte anbringen. An diesem Abend stehen sie auch auf dem Altar der St. Joseph-Kirche, daneben ein Foto Mutter Teresas.
Die Ungesehenen sehen
Im Anschluss an den Gottesdienst trifft sich die Gemeinde im nahegelegenen Saal der Pfarrei. „C the unseen“ – das Ungesehene oder die Ungesehenen sehen – so lautet das Motto der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Ein Titel, der auch das jahrelange, diakonische Engagement der Schwestern umschreiben könnte. Vertreter der Stadt, der Caritas, der Ökumene und viele weitere Unterstützer und Gäste der Schwestern schildern an diesem Abend ihre Erlebnisse mit der Gemeinschaft. „Liebe, das ist die Medizin, die die Menschen aufbaut“, so hat es die Friedensnobelpreisträgerin und heiliggesprochene Mutter Teresa gesagt.
Ein Mann schildert am Mikrofon offen, wie diese Medizin ihm selbst half. Wie er vor Jahren ohne Obdach in Chemnitz strandete. Wie er bei den Mutter-Teresa-Schwestern eine offene Tür, Ermutigung und Hilfe fand, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Schwester Kristin – die gebürtig übrigens aus Riesa stammt – formuliert es bescheiden so: „Es braucht den Blick der Liebe, um zu sehen, was nicht sofort zu sehen ist.“
Die Geschichte der Mutter-Teresa-Schwestern in Chemnitz
Vor vierzig Jahren, am 18. Dezember 1983, hatte Mutter Teresa von Kalkutta in Karl-Marx-Stadt eine Niederlassung ihrer Schwestern auf dem Sonnenberg ins Leben gerufen. „Arme in der DDR“ - das war für die Verantwortlichen der Stadt schwer zu verwinden, aber einer Friedensnobelpreisträgerin konnte man nicht die Tür weisen.
Seitdem haben die Schwestern in ständig wechselnder Besetzung unzähligen Menschen zur Seite gestanden. Mit ihrem leisen und aufopferungsvollen Dienst haben sie den Sonnenberg seitdem mitgeprägt.
Mutter Teresa besuchte vom 27. bis 29. September 1984 und am 18./19. März 1988 die Stadt. Seit der Neugründung der Chemnitzer Pfarrei am 22. April 2018 trägt sie den Namen Heilige Mutter Teresa Chemnitz.
Die Missionarinnen der Nächstenliebe
1950 rief Mutter Teresa den Orden „Missionarinnen der Nächstenliebe“ offiziell ins Leben. Am 19. Oktober 2003 wurde die 1997 verstorbene Ordensgründerin und Friedensnobelpreisträgerin von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Am 4. September 2016 erfolgte durch Papst Franziskus ihre Heiligsprechung.
Im Jahr 1979 gründeten Schwestern Mutter Teresas die erste deutsche Niederlassung ihrer Gemeinschaft in Essen. Weitere Häuser entstanden in Berlin-Kreuzberg, Chemnitz, Mannheim, Hamburg, München und Frankfurt am Main.
Text/Fotos: Michael Baudisch