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Bistum Dresden Meissen
Bischof Heinrich bei der Predigt in der Dresdner Kathedrale. © Andreas Gäbler
26. Februar 2023

Mutig nach dem gemeinsam Möglichen suchen

Hirtenwort von Bischof Heinrich zur Österlichen Bußzeit 2023

Liebe Schwestern und Brüder,

am Aschermittwoch wurde uns das Aschekreuz aufgelegt mit den Worten: „Kehr um und glaub an das Evangelium.“ Ich frage mich, was kann Umkehr in unserer jetzigen Situation bedeuten.

Wir stehen inmitten einer Welt, die sich seit einem Jahr mittelbar oder unmittelbar im Krieg befindet. Wir sehen, wie sich eine Spirale der Gewalt immer weiterdreht: der unrechtmäßige Überfall Russlands; das Recht der Ukraine, sich zu verteidigen; die Unterstützung mit immer neuen Waffen durch die westliche Welt. Diese Dynamik ist ein Dilemma, denn wir dürfen nicht vergessen: jede Waffe tötet.

Wir spüren, dass der Krieg auch uns betrifft: ob Sorge um Flüchtende, um wenig geheizte Wohn- und Arbeitsräume, gestiegene Preise oder Medikamentenknappheit.

Neben allen Fragen ist es bewegend, wie viel Gutes durch Ihre vielfältige Unterstützung möglich wird. Ich lade Sie ein, weiter pragmatisch zu helfen und für den Frieden zu beten, für einen beherzten ersten Schritt zur Versöhnung. Das Evangelium mahnt uns auch im Heute: „Selig, die Frieden stiften.“ (Mt 5,9)

Was sehe ich bei einem Blick in die Kirche? Missbrauch beschäftigt uns weiterhin. Betroffene melden sich und erwarten einen adäquaten Umgang mit dem Geschehenen. Vor wenigen Wochen haben wir von Verdachtsmomenten des sexuellen Missbrauchs durch einen unserer Priester erfahren. Mit dem betroffenen Jugendlichen stehe ich persönlich im Kontakt. Den Vorschriften entsprechend haben wir den Vorfall der Staatsanwaltschaft angezeigt und auch kirchenrechtlich alle Maßnahmen ergriffen, um hier Klarheit zu schaffen. Den Untersuchungen möchte ich nicht mit einer Vorverurteilung vorgreifen, wenngleich ich tief erschüttert bin. All das zeigt, dass wir in unseren Anstrengungen um Prävention, Intervention und Aufarbeitung nicht nachlassen dürfen.

Schaue ich auf die Dekanatsveranstaltungen im vergangenen Jahr und die ersten Visitationen in den Pfarreien, nehme ich zunächst ein großes Engagement, aber auch Resignation angesichts der großen Veränderungen wahr. Ich merke, dass mit den neugegründeten Pfarreien die vertretbare Größe der Fläche an vielen Stellen mindestens erreicht ist. Gleichzeitig wird das Bistum nicht mehr alle Planstellen mit einem Priester oder einer Gemeindereferentin besetzen können, einfach, weil es nicht mehr pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Ehrenamtliche tragen mit hohem Einsatz zu einem Glaubens- und Gemeindeleben vor Ort bei, ob Hausmeisterdienst, in den Räten oder bei der Leitung der Wort-Gottes-Feier. Ich spüre deutlich: Wir müssen neu über das Thema Ehrenamt nachdenken.

In diesen Tagen bin ich in dem kleinen Büchlein „Demokratie braucht Religion“ einem Gedanken des Soziologen Hartmut Rosa begegnet, der uns vielleicht eine Möglichkeit zur Umkehr weist.

1. Wir müssen aufhören.

In vielen – vielleicht auch den gerade eingangs benannten – Kontexten ist die Steigerungsdynamik von immer mehr und immer schneller ein Teil des Problems. Hartmut Rosa analysiert Symptome unseres Alltags. Er schreibt: „Ich bin immerzu im Aggressionsmodus, denn ich muss das noch abarbeiten, ich muss jenes kaufen, ich will dies haben, ich will das erfahren, und so weiter. Und die Frage ist, geht’s auch anders?“ 1) Was heißt das für uns und unser Bistum?

Angesichts der beschriebenen Situation werden uns weder ein Schönreden noch Durchhalteparolen noch Traumschlösser weiterhelfen. Nüchternheit und Aufmerksamkeit sind hier gefragt, damit wir die Situation annehmen.

In den Jahren der Neugründung unserer Pfarreien habe ich den Satz geprägt: „So viel wie möglich vor Ort und so viel wie nötig und möglich gemeinsam.“ Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass Kirche vor Ort gelebt werden muss. Damit das möglich bleibt, muss man aber auch konstruktiv, strategisch und mutig nach dem gemeinsam Möglichen suchen. Es wird nicht mehr gehen, dasselbe pastorale Programm mit weniger Ressourcen einfach überall weiter zu fahren.

Auch die ersten Resultate des Strategieprozesses werden uns in den kommenden Monaten zugemutet werden. Der für einzelne Wirkungsbereiche zu setzende Rahmen wird nach Ostern weiter unsere Kreativität fordern, wie wir mit wesentlich knapperen finanziellen Ressourcen Schwerpunkte setzen können. Das wird nur gelingen, wenn wir mit einigem aufhören.

Liebgewonnenes und Vertrautes, mit dem wir in der Kirche groß geworden sind, ziehen zu lassen, fällt nicht leicht. Aber die Wirklichkeit auszublenden, wäre ebenso lieblos und keine Option. Hoffnung gibt mir die Zusage Jesu, die ebenso für eine Kirche im Wandel gilt: „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20) Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Weder Traditionalismus, der einen einzelnen Moment aus der Geschichte Gottes mit uns Menschen absolut setzt, noch Nostalgie, die Vergangenes verklärt, werden uns helfen. Wir brauchen Tradition, die den Glauben in der jeweiligen Zeit verlebendigt. Es gilt, die Zeichen der Zeit zu erkennen, ohne sich gedankenlos dem Faktischen zu unterwerfen. Dabei sollten wir uns nicht abarbeiten an Machtansprüchen, Deutungshoheiten oder Privilegien, sondern ganz auf die Macht unseres Gottes vertrauen.

2. Hören wir auf…

Das Wort „Aufhören“ heißt nicht nur beenden, es ist auch ein „Hören auf…“ .

Was passiert beim Hören? Im Idealfall ziehen Worte nicht einfach vorbei, sondern es gibt eine Resonanz auf das Gehörte. Hartmut Rosa beschreibt diese Erfahrung so: „Da, wo Resonanz zustande kommt, wo ich wirklich aufhöre und mich mit dem, was mich erreicht, verbinde, verwandle ich mich, komme ich in eine andere Stimmung und auf anderen Gedanken. Ich fange an, die Welt anders zu sehen oder anders zu denken.“ 2)

Dieses Prinzip liegt auch der Synodalität zugrunde. Es geht primär um ein Hören aufeinander und ein Hören auf Gott, dessen Resonanz uns gegenseitig verändert. Damit wächst eine synodale Kirche.

Papst Franziskus macht uns Mut zur Synodalität, wenn er sagt: „Auf diesem Weg müssen wir weitergehen. Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und ihr zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.

Was der Herr von uns verlangt, ist in gewisser Weise schon im Wort „Synode“ enthalten. Gemeinsam voranzugehen – Laien, Hirten und der Bischof von Rom –, ist ein Konzept, das sich leicht in Worte fassen lässt, aber nicht so leicht umzusetzen ist.“

Und Papst Franziskus fährt fort:

„Eine synodale Kirche ist eine Kirche des Zuhörens, in dem Bewusstsein, dass das Zuhören ‚mehr ist als Hören‘. Es ist ein wechselseitiges Anhören, bei dem jeder etwas zu lernen hat: das gläubige Volk, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom – jeder im Hinhören auf die Anderen und alle im Hinhören auf den Heiligen Geist, den »Geist der Wahrheit« (Joh 14,17), um zu erkennen, was er den Kirchen sagt‘ (vgl. Offb 2,7).“ 3)

Wir brauchen die verschiedenartige Gemeinschaft der Glaubenden, die im Hören Selbstbezogenheit überwindet und das Wirken von Gottes Geist in den Herzen spürbar werden lässt. Kurz: Resonanzraum für Gott und die Mitmenschen. So sind wir dienende Kirche füreinander und für die Welt.

Liebe Schwestern und Brüder, drei Fragen möchte ich Ihnen mit auf den Weg des Aufhörens geben:

Womit möchte ich in diesen Wochen der österlichen Bußzeit aufhören? Wem in meinem Lebensumfeld möchte ich in besonderer Weise meine Aufmerksamkeit durch ehrliches und zugewandtes Zuhören schenken?Wie kann mein und unser Hören auf Gott neu und vertieft werden?

Nehmen Sie diese Fragen als Impuls für sich persönlich, zum Austausch in Ihrer Familie oder für die Gruppen und Gremien. Für das Aufhören und für Neubeginne in dieser österlichen Bußzeit erbitte ich Ihnen den Segen des dreifaltigen Gottes, des + Vaters, des + Sohnes und des + Heiligen Geistes.

Dresden, am 24. Februar 2023

Ihr
+ Heinrich Timmerevers Bischof von Dresden-Meißen


1) Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion, München 2022, 57.
2) Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion, München 2022, 62.
3) Papst Franziskus, Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Einrichtung der Bischofssynode, Samstag, 17. Oktober 2015.

Das Hirtenwort als pdf-Datei zum Download