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Bistum Dresden Meissen
Heinrich Timmerevers, Bischof von Dresden-Meißen. © Andreas Gäbler
20. Oktober 2023

Seid mit ihnen Mensch und für sie Christ

Grußwort von Bischof Heinrich Timmerevers zur Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus am 20. Oktober 2023 in Dresden

Dresden. Unter dem Titel „Nächstenliebe unter Druck – Kirche im Einsatz für Demokratie“ findet heute und morgen in Dresden die Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus statt. Anbei dokumentieren wir das Grußwort von Bischof Heinrich Timmerevers vom 20. Oktober 2023.


Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen in Dresden. Herzlich willkommen im Herzen Sachsens. Ich danke Ihnen herzlich, dass Sie dieses Wochenende miteinander überlegen, wie die Kirchen auf Rechtsextremismus und Rechtspopulismus reagieren können. Ein herzlicher Dank gilt deshalb gleich zu Beginn den Organisatoren, die diese Tagung ermöglicht haben, nämlich der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus in Kooperation mit dem Kulturbüro Sachsen e.V., der Diakonie Sachsen, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend, der Evangelischen Akademie zu Berlin, unserer katholischen Akademie und dem Netzwerk Tolerantes Sachsen.

Erlauben Sie mir zunächst ein Wort zur aktuellen Situation in Israel, weil die Konsequenzen etwas mit Ihrer Jahrestagung zu tun haben werden: Der 7. Oktober wird sich auf eine neue Weise in unser Gedächtnis einbrennen. Der Angriff auf Israel bleibt ein barbarischer Akt, der durch nichts zu entschuldigen ist. Dennoch: Ich hoffe auf den Erfolg aller diplomatischen Bemühungen, schnellstmöglich die Geiseln frei zu lassen. Ich hoffe auf die Liebe der muslimisch geprägten Staaten zum Frieden. Sie können den Flächenbrand vermeiden. Und ich hoffe auf ein kluges Vorgehen Israels, das die Sicherheitsinteressen des Landes berücksichtigt, aber die Spirale des Hasses nicht unnötig weiter antreibt.

Verehrte Damen und Herren, der Nahe Osten beschäftigt nicht nur wegen unserer historischen Verantwortung. Wenn Sie in den kommenden Tagen über Rechtsextremismus nachdenken, wird mir keiner widersprechen, wenn ich in diesem Zusammenhang auch eine Hoffnung für unser Land ausspreche – und das sage ich besonders in Gegenwart von Ihnen, liebe Frau Dr. Goldenbogen. Denn Sie stehen für das jüdische Leben in unserer Region: Unsere deutsche und unsere christlich Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk verpflichtet uns, bedingungslos das jüdische Leben zu schützen. Auch bei uns. Unternehmen wir alles als Kirche und Gesellschaft, als Menschen in unserem Land, dass Jüdinnen und Juden hier sicher und ohne Angst leben können. Lassen Sie uns Formate finden, in denen gerade in dieser Zeit Menschen, die verfeindet scheinen, zusammenkommen. Denn wer ernsthaft miteinander spricht und lebt, wird nicht hassen!

Die Begegnung mit dem anderen ist der erste Schritt gegen Vorurteile. Und damit gegen rassistisches Handeln. Dies bleibt eine Tugend des Einzelnen. Aber Institutionen können dafür hilfreiche Strukturen schaffen. Es ist mit dieser Jahrestagung beeindruckend zu sehen, wie viele Institutionen sich engagieren. Danke, dass Sie sich in diesen herausfordernden Zeiten für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwürde einsetzen. Das meint Nächstenliebe heute. Diese Horizontale des fruchtbaren Miteinanders braucht – zumindest für Christinnen und Christen – immer die Vertikale, nämlich die Beziehung zu Gott. Es lohnt, sich für eine Nächstenliebe einzusetzen. Aber es gibt Entlastung, im Vertrauen auf Gott darum zu wissen, dass wir am Reich Gottes nur mitbauen, es aber nicht vollenden werden.

Ich will mich in meiner Begrüßung nicht um den „braun-blauen Elefanten im Raum“ drücken, weil Sie alle natürlich darum wissen und nachdenken, wie man ihm begegnen kann: Nach vielen Expertisen liegt das Urteil nahe, die AfD als rechtspopulistische Partei mit (mindestens) offenen Bezügen zum Rechtsextremismus zu benennen. Zugleich setzt sie sich anders zusammen als jene rechtsextremen Gruppen, die sich nach der Wiedervereinigung auch im Osten der Republik gebildet und verfestigt haben. Beide Gruppen stellen unser liberales Zusammensein in Frage. Aber für jeden braucht es einen anderen Umgang. Nicht jeder AfD-Wähler ist Neonazi und sicher nicht jeder Neonazi AfD-Wähler. Aber wer sich mit Freien Sachsen und Co. verbündet, wer meint, er könne rechtsextreme Aussagen und Faschisten in seinen Reihen dulden, der kann nicht behaupten, er stände mit beiden Beinen auf dem Boden der Demokratie. Ich sage dies in dieser Schärfe, weil Sie sicher wissen, dass die Jugendorganisation der AfD, die ‚Junge Alternative‘, in Sachsen vom Landesamt für Verfassungsschutz als „erwiesene rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft wird.

Wenn ich all das betrachte und die aktuellen Umfragen im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen daneben lege, erschrecke ich. Wer pöbelt und hetzt, ist Brandstifter, nicht Friedensstifter. Wer die Ängste der Menschen billig ausnutzt, um bei Wahlen zu punkten, riskiert das hohe Gut des gesellschaftlichen Friedens. Keine Partei oder Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft sollte der Versuchung erliegen, mit Blick auf die Zustimmungswerte die Wortwahl zu überdrehen oder Sündenböcke zu definieren. Die Mehrheit der Menschen wissen: Migration, Klimakrise und soziale Gerechtigkeit fordern Lösungen. Nicht die Themen polarisieren, der Umgang mit ihnen.

Inzwischen liegen mehrere Studien und Analysen vor, die uns vor Augen führen, wie sehr sich das Parteiprogramm der AfD – also deren Lösungsangebote – von den Positionen der Katholischen Soziallehre unterscheidet. Auch deswegen kann es mir nicht egal sein, wenn die AfD ihre Positionen in einem Regierungshandeln umsetzen könnte.

Dabei gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass auch wir in unseren Gemeinden und Einrichtungen Menschen haben, die ihr Kreuz bei der AfD machen. Vielleicht können Sie sich vorstellen, wie sehr wir als Kirche darum ringen, mit jenen Menschen und mit Christinnen und Christen, die sich in der AfD engagieren, einen angemessenen Umgang zu finden. Ich werde Ihnen heute nicht das Patentrezept dafür liefern. Aber ich weiß, dass unser christliches Verständnis vom Menschen auf die Fähigkeit des Einzelnen vertraut, sich in seiner Position zu verändern. Die aktuelle ZEIT im Osten hat in ihrer aktuellen Ausgabe dies erst exemplarisch dargestellt. Deswegen ermutige ich dazu, sich um jeden Einzelnen zu mühen. Das bedeutet nicht, jede Position gut zu heißen.

Ich sprach vom Erschrecken beim Blick auf die Umfragewerte. Ich weiß, dass es nicht beim Erschrecken bleiben darf. Als Kirchen sind wir in dieser Situation gefordert, uns Gedanken zu machen, wie wir uns in einer solchen Situation verhalten. Als katholische Kirche in Mitteldeutschland sind wir – auch in dieser Situation – hier „mit ihnen Mensch und für sie Christ“, wie es die Pastoralsynode der DDR formuliert. Lassen Sie mich deswegen drei Positionierungen an den Beginn Ihres Wochenendes stellen, die in unseren Erfahrungen als Kirche vor Ort wurzeln. Vielleicht werden sie zum Impuls einer Diskussion, aus der wir alle lernen können:

1. Positionierung: 2024 ist nicht 1989. Wir leben heute in einer Demokratie. Nicht in einer Diktatur.

Als Kirchen haben wir uns klar bekannt, dass die Demokratie die beste Staatsform ist, die wir bisher kennen. Lasst uns diese Form, die Verantwortung fordert, weil sie Freiheit groß schreibt, nicht schlechtreden. Lasst uns die Demokratie aus der Mitte heraus stärken. Deswegen: Ich wünsche mir mehr Christinnen und Christen, die in unserem Land für ihre Ideen auf Grundlage ihres christlichen Glaubens in politischen Prozessen streiten – und den Konsens suchen. Lasst uns Christinnen und Christen ermutigen, eine Haltung der Hoffnung auszubilden. Wir brauchen Menschen, die die Probleme nicht verschweigen. Aber die mit Zuversicht kreative Ideen entwickeln, wie wir in unserem Land gut zusammenleben können.

2. Positionierung: Lasst uns das Wort erheben, wo wir als Anwälte der Schwachen gebraucht werden. Aber lasst uns genau hinschauen, wo uns Stöckchen hingehalten werden. Wer 33 Prozent als Wahlergebnis will, meint es nicht ernst, sondern will mit der Provokation auffallen und von sich reden machen. Das Abwägen, wo das öffentliche Zeichen gebraucht wird, ist die Kunst der Stunde, um auf Populisten zu reagieren.

3. Positionierung: Wenn wir davon sprechen, dass Verantwortliche die Sorgen der Menschen ernst nehmen müssen, dann lege ich dazu: Lasst uns öffentliche Räume schaffen, in denen miteinander das ernsthafte Gespräch gesucht wird. Wir brauchen Orte des Streits. Und wir brauchen Orte der Versöhnung. Ich bin bereit, dass wir als Kirche dafür Räume und Gelegenheiten schaffen. Unsere Akademien stehen schon jetzt beispielhaft dafür. Nach Jahrzehnten der Diktatur, in der alles sofort politisch überformt war, haben wir zu wenige zivilgesellschaftliche Institutionen, die Foren des kultivierten Streitens und Versöhnens sind. „Biedermeier“ war eine privatisierende Strömung des 19. Jahrhunderts. Sie darf keine Strömung des 21. Jahrhunderts werden. In der Privatheit gelingt nicht das Verstehen des anderen. Unser „SachsenSofa“ ist zum ökumenischen Symbol dafür geworden: Dieses Möbelstück aus dem privaten Raum öffnet die Möglichkeit der öffentlichen Debatte. Mit der Bereitschaft, Konflikte auszuhalten und Lösungen zu entwickeln.

Die Vielfalt Ihrer Tagung bietet wertvolle Möglichkeiten, die drei Positionierungen weiterzudenken. Ob die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Strukturen in unserer Region, der Umgang mit Bedrohungen im Engagement für Demokratie und Menschenrechte oder die theologischen Grundlagen unseres Kampfes gegen Extremismus - diese Diskussionen sind von zentraler Bedeutung, um eine breite Basis für Veränderung zu schaffen.

Nun habe ich lange über Konsequenzen gesprochen, die ich aus meinen Eindrücken in Sachsen und Ostthüringen mitnehme. Dabei sind es doch aber Herausforderungen, die über Ostdeutschland hinausgehen! Extremistische Ideologien und populistische Tendenzen finden sich – das haben auch die jüngsten beiden Landtagswahlen gezeigt – leider im ganzen Land. Daher ist es unsere gemeinsame Verantwortung, dieser Entwicklung entgegenzutreten.

Populistische Tendenzen zeigen oft auf, dass Menschen ein Ventil für ihre Unzufriedenheit suchen und sollten als Warnzeichen erkannt werden. Deswegen begrüße ich die Initiative des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, über den Umgang mit Migration in der Mitte der Gesellschaft intensiver nachzudenken. Populistische Tendenzen dürfen aber nicht in Extremismus abdriften, diesen Entwicklungen müssen wir Einhalt bieten, solange wir es können.

Ein Text in der Heiligen Schrift, der mir persönlich dazu Stärke schenkt, ist jener im 2. Brief an Timotheus: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim 1,7) Lassen Sie uns gegen die Verzagtheit angehen! Dazu gehört auch, im Dialog zu bleiben mit jenen, die Antworten auf ihre Wut und Angst in extremen Positionen finden. Aber dazu gehört eben auch, die Stimme für eine Demokratie zu erheben, in der die Würde des Einzelnen und das Wohl aller im Mittelpunkt stehen.

Ich danke jedem Einzelnen von Ihnen für Ihre Anstrengungen und Ihr Engagement in dieser wichtigen Arbeit. Viel Erfolg für Ihre Jahrestagung! Möge unser Glaube uns leiten, unser Handeln inspirieren und unsere Herzen mit Hoffnung erfüllen.